„Mogst a bissl helfn? - Nachhaltiger Tourismus im Lesachtal“

Montag, 27.09.2021

Dorothee Neururer, Weltkärntnerin in Zürich

So einen Urlaub hatte Elise Vogt (Name geändert) noch nie gemacht: „Wanderwege sanieren bei freier Kost und Logie im Lesachtal“ stand in der Anzeige im Jahr 2018. Ihre Freundin aus Kärntner Kindertagen im Drautal hatte sie gewhatsappt mit dem Vermerk: „Falls Du mal wieder Urlaub in Kärnten (Daham) machen willst“ – Smiley. 

Im Klartext hieß das, körperlich arbeiten, am Berg und im Wald. Von Ferien konnte höchstens die Rede sein, wenn sie selbst wieder über die sanierten Wege des Lesachtals gehen würde, die sie vom Wandern kannte. Ein abgeschiedenes Wanderparadies am Karnischen Hauptkamm, wo die Zeit gefühlt langsamer vergeht, weil noch immer die Natur und nicht die Digitalisierung das Leben der Menschen bestimmt. 

Der Gedanke, für einmal nicht als Touristin in die Lebenswelt des naturbelassensten Tales Europas – wie es sich selbst vermarktete - einzutauchen, ließ Elise nicht los. Und mit diversen Outdoor-Hobbies fühlte sie sich auch als Städterin für ein Abenteuer fit genug. 

Von der „Erwartungshaltung“ im Urlaub

Nun ist es im digitalen Zeitalter Usus, die Ferien zu jeder Tages- und Nachtzeit überall auf der Welt zu buchen. Das gibt zu 100% Gewissheit, wann man wo sein wird und in welchen Pool man springt – kurz, was einen erwartet.  

Diesmal aber erfuhr Elise vom Katastrophenreferenten Josef Salcher, dass noch nicht klar sei, wann der Arbeitseinsatz erfolgen würde. Es hinge vom Wetter und der anstehenden Heuarbeit der Bauern ab. Sie solle sich aber keine Sorgen machen, denn Arbeit gäbe es genug. Keine Sorgen, das war schon mal gut. Und Elises Restzweifel, ob sie da wirklich am richtigen Ort sei, weil sie kein Profi an der Seilwinde oder an der Motorsäge sei, zerstreute der Katastrophenreferent mit einem kärntnerisch gechillten: „Passt scho’ “. 

Nach Kärnten kam die Katastrophe im Herbst 2018, als das Sturmtief Vaia in Europa wütete. Hochwasser, Muren Abgänge, Waldschäden machten aus Österreichs südlichstem Bundesland ein Katastrophengebiet. Allein im Lesachtal belaufen sich die Gesamtschäden auf 34 Mio. Euro. Eine halbe Million Festmeter Schadholz (knapp ein Drittel der gesamten Schadholzmenge in Kärnten) ist aus dem engen Tal zu räumen – für die Bauern ein Verlust von rund 14 Mio. Euro. 

Freiwillige Helfer bei Mammutaufgabe

Bei der Sanierung der Wanderwege setzte das Lesachtal erstmals auf freiwillige Helfer. Alleine ist die Mammutaufgabe nicht zu bewältigen. Damit trifft die Gemeinde den Zeitgeist vom nachhaltigen Tourismus und verbindet das Nützliche mit dem Angenehmen. 

Katastrophen-Josef, wie er im Tal liebevoll genannt wird, erklärt die Arbeitseinteilung. Mit Elise sind es sechs Helfer, die unter der Führung von Bergbauern in drei Gruppen arbeiten werden. Ohne diese läuft hier gar nichts. Sie sind die Experten. 

„Sechzig Freiwillige waren seit März da, darunter auch Engländer und Amerikaner“, sagt Katastrophen-Josef enthusiastisch. „Und die Leute fahren alle sehr zufrieden wieder nach Hause, wegen der körperlichen Betätigung in der Natur und weil sie etwas Sinnvolles getan haben“. Sturmholz am Obergailer See aufklauben, einen defekten Holzsteig über einen Bach richten, umgestürzte Bäume vom Weg räumen, einen Bachweg unterhalb der Steinwand für Mensch und Tier wieder begehbar machen. 

Das sind die Aufgaben der nächsten zwei Tage für Elise und ihre Teamkollegen Herbert aus Villach und Christian aus Wien, die schon zum zweiten Mal da sind. Mit Georg, dem Bergbauern, geht es am frühen Morgen im Alm-Auto auf die Obergailer Alm. 

Aufforstung wird noch lange dauern

Morgentau spiegelt regenbogenfarben im Gras, zwei Noriker grasen friedlich. Unwirklich schön ist das Tal, in das Vaia im Herbst 2018tiefe Wunden geschlagen hat - umgeknickte Bäume liegen am Hang, zum Gamskofel hin hat der Sturm sieben Hektar Wald einfach abrasiert. Nach dem Sturm, sagt Georg, habe er zum ersten Mal lange nicht schlafen können. „Diese Schäden sind nachhaltig“. Aus seinem Mund klingt das Wort nicht nach blasser Worthülse. Es hat Gewicht. „Für das Holz gibt es keinen Preis mehr und wir sind im Wettlauf mit dem Borkenkäfer. Bis alles wieder so ist, wie es war, wird es gut 70 Jahre dauern, und mit dem Aufforsten werden noch die nächsten zwei bis drei Generationen beschäftigt sein“. 

Mogst a bissl helfen?

Mit Rechen ausgerüstet haben Elise und Herbert noch gut 100 HM Aufstieg vor sich. Oben am See begrüßen sie neugierige Kälber. Für die nächsten Stunden stapeln sie abgerissene Äste und schon bald kommen die ersten Wandertouristen. Keck spricht Elise einen jungen Mann an: „Mogst a bissl helfen? Dos is nochholtiger Tourismus, wenn ma olle a bissl zomtuan“. 

Und sie denkt: Wenn nur jeder fünfte eine halbe Stunde lang was macht, ist in der Summe schon viel getan. Irgendwann fallen die ersten Regentropfen und die Arbeit muss unterbrochen werden. Flexibilität ist gefragt.  

Am Rückweg zieht ein Steinadler seine Kreise, eine Wildrose leuchtet inmitten des Almrauschhangs. Elise vergisst die Sturmschäden, hält inne und ist in den Ferien. 

Dorothee Neururer

 

PS 1: Geht's anderen Exilkärntnern auch so? Die Geschichte hat sich auf jeden Fall genau so zugetragen!

PS 2: Und – der Vollständigkeit wegen, dieser Text ist schon einmal in der Kleinen Zeitung erschienen.

@ Christian Schenner
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